Ukraine und Russland: Was können wir tun?
Dieser Text stammt von Anfang März 2022. Seitdem haben wir uns alle selbstverständlich viel mehr Gedanken darüber gemacht, wie man den Krieg in de Ukraine stoppt als darüber, wie es den Menschen in Russland damit geht. Für mich bleibt die Logik des Vorgehens jedoch unverändert.
Wenn wir Menschen Gefahr spüren und erfahren, dass etwas uns existenziell bedroht, neigen wir dazu, die Welt nur noch schwarz und weiß zu sehen. Wir sind extrem verunsichert - es ist uns in dem Moment nur wichtig zu wissen: Wer ist unser Freund und wer unser Feind. Dies gibt Sicherheit und Orientierung. Wir vereinfachen unsere Wahrnehmung, um handlungsfähiger zu sein.
Eine Strategie, die aber nur kurzfristig helfen kann.
Putins Russland führt Krieg gegen die Ukraine! Wir haben Krieg in Europa! In dieser für uns alle existenziell bedrohlichen Situation reagieren wir in einem ähnlichen Schema. Die EU, die USA und viele andere Staaten der Welt haben Russland im Gegenzug den Kampf angesagt - führen einen umfassenden Wirtschaftskrieg im Zeitalter der Globalisierung. Verurteilen Putins Russland, unterstützen die Ukraine, führen umfassende Sanktionen ein, ziehen uns vom russischen Markt zurück, isolieren das Land wirtschaftlich und gesellschaftlich. Regierungen positionieren sich, wir positionieren uns als Menschen, als Unternehmen und Organisationen. Alles richtig und wichtig. Dieser Krieg zwingt zur Parteinahme.
Doch das ist noch nicht alles.
Die Ukrainer sind sich einig, sie haben in den vergangenen Jahren eine gesunde junge Nation gebildet, welche moralisch und ideologisch integer ist. Jeder, der genauer dahin schaut, verspürt neben dem Mitgefühl die große Bewunderung und den Respekt vor dem ukrainischen Volk, welches so geschlossen allein gegen den ehemaligen „großen Bruder“ kämpft. Doch dieser Krieg wird nicht nur in der Ukraine geführt. Dort spielt sich sein schrecklicher militärischer Teil ab – menschenverachtend und existenzvernichtend.
Ein zweiter Krieg entflammt sich in den Köpfen und Herzen der Russen. Diesen Krieg führt Putin mit seiner Propaganda und seinem Unterdrückungsapparat im eigenen Lande nicht erst seit gestern. Und ist damit bislang unvergleichlich erfolgreicher als seine Angriffstruppen in der Ukraine. Der heute für alle sichtbare militärische Wahnsinn, der Überfall auf die freie Ukraine wird gerade auch durch diesen von Putins Machtapparat gesteuerten inneren Krieg in Russland ermöglicht. Über diesen Teil des Krieges sind wir uns hier in der freien Welt teilweise nicht einmal bewusst. Und erst recht strategielos.
Wir wissen heute nicht, wie viele Menschen in Russland Putin überhaupt unterstützen. Im Krieg gibt es keine unabhängigen soziologischen Daten. Es sind leider nicht wenige – aber wir, die wir das tägliche Miteinander von Menschen in Russland, der Ukraine und Deutschland im Arbeitsleben prägen, wissen: Es gibt auch in Russland sehr viele Menschen, die diesen Krieg nicht wollen.
Sanktionen, Lieferstopps und Rückzug der westlichen Unternehmen aus Russland setzen für uns ein eindeutiges Zeichen. Wir wollen klarmachen: „Auch wenn wir uns wirtschaftlich ins eigene Fleisch schneiden - wir sind gegen den Krieg! Stoppt ihn, oder es wird noch schlimmer!“ – Aber was in Russland in großen Teilen der Bevölkerung ankommt, hat leider andere Auswirkungen: „Die sind alle gegen uns! (Konsequenz: „Wir müssen hinter unserem großen Führer zusammenrücken“ oder "Wir haben eh' nichts mehr zu verlieren"), „Die ganze westliche Welt hat sich gegen Russland vereinigt (Fazit: "Putin hatte doch recht!“). Und: „Es gibt keine Unterstützung und keine Hoffnung mehr für alle anders Denkenden (Verzweiflung: Emigrieren, aufgeben, nichts mehr sagen?).
Diese Mischung aus existenzieller Bedrohung für die gesamte Bevölkerung und der Hoffnungslosigkeit für kritisch denkende Menschen in Russland ist die beste Nahrung, die Putin vom Westen an dieser Front erhalten kann. Die russische Zivilgesellschaft hat es aus vielen, auch historisch motivierten Gründen nicht geschafft, Putin als Kriegsführer zu verhindern. Nun werden ihr von allen Seiten die letzten Existenzchancen genommen.
Völlig ungewollt errichtet der Westen damit quasi ein zweites Tschernobyl – nämlich die Betonglocke der kompletten Abschottung und Sanktionen gegen alle Menschen in Russland! Beziehungen zwischen Russland und der westlichen Welt, die seit 30 Jahren aufgebaut wurden, werden gekappt, fallen in die Steinzeit zurück. Und dies in einer aktuellen Situation, wo keiner von uns sicher sein kann, wie die Zukunft in Europa aussehen wird. Das Zerstören dieser Bindungen bedeutet damit leider auch die Vernichtung eines riesigen Friedenspotentials. Ein Potential, das wir heute aber dringender brauchen denn je.
Ja, wir können aus vermeintlicher moralischer Überlegenheit sagen: Uns kümmert nicht, was nun da innen passiert. Doch die Raketenabschüsse in der Nähe des echten Tschernobyls sowie auf andere, heute aktive Atomreaktoren in der Ukraine haben doch genau das gezeigt: Unmöglich. Wir können es uns nicht leisten!
Die Frage ist: Welches Ziel erreichen wir mit unseren heutigen Sanktionen und Aktionen, welche Wirkung haben sie in der Realität? Und: Was können und was müssen wir – darüber hinaus – sonst noch tun?
Westliche Unternehmen, die bisher in Russland tätig waren, waren und sind nicht bloß Arbeitgeber wie jeder andere. Sie waren lebendige Beispiele für eine andere Organisationskultur. Sie haben ihren russischen Mitarbeitern völlig neue Erfahrungen ermöglicht. Sie haben diese Mitarbeiter stolz gemacht, ein Teil des globalen Ganzen zu sein, sie integriert, sie weiterentwickelt. Es sind dabei lebendige, langjährige menschliche Beziehungen entstanden, sorgsam aufgebautes Vertrauen, Kollegialität und auch private Freundschaften. Also genau was wir uns alle für ein erfolgreiches und friedliches Miteinander in der heutigen Welt wünschen – und was wir in Russland gerade so verzweifelt brauchen. Diese vielen Menschen dürfen wir jetzt nicht alleine lassen.
Wir möchten diese Fragen stellen, und wir müssen diese Fragen stellen. Wir wissen auch: Es wird nicht die eine Lösung geben, es wird keine einfachen Antworten geben, aber wir möchten Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen, Entscheidungsträger und alle Mitarbeiter, zu einer Reflexion und Diskussion einladen. Aus der sich Lösungsvorschläge und individuelle Antworten ergeben können.
Interkulturelle Sensibilisierung
Wenn man lang genug mit Vertretern verschiedener Nationen zu tun hat, wird klar, dass es nicht nur darum geht, zu wissen, "wie diese Anderen da ticken". Es geht auch darum, das eigene "Ticken" in unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu entdecken und besser zu steuern.
Und es gibt gewisse Dinge, die für uns alle bei dem Umgang mit etwas Fremden sehr hilfreich sein können. Diese Dinge kann man lernen.
Was ich in jahrelanger Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedenster Kulturen, Arbeits-Besuchen in vielen Ländern dieser Welt und ständiger kultureller Selbstreflexion selbst gelernt, erlebt und erfahren habe, gebe ich gern in meinen Interkulturellen Trainings und Coaching weiter.
Kolleginnen-Stimmen
"Seit über 10 Jahren arbeite ich eng mit Dr. Julia Moritz in internationalen Bildungsprojekten zusammen. Besonders im deutsch-russischen Trainingskontext schätze ich ihre fachliche Expertise als tiefe Kennerin der russischen Kultur, Geschichte und Gegenwart, ihre methodische Vielfalt als Trainerin genauso, wie ihren kritischen Blick und kluge Reflektion von Ost-West-Spannungen und Unterschieden. Julia vermag es, mit ihrer positiv-ausgeglichenen Herangehensweise Brücken zwischen beiden Ländern zu bauen, die mehr Verständnis für- und Neugier aufeinander machen."
Dr. Heike Pfitzner, Gründerin von STIC / Supporting Teams in Change / Anfang Februar 2022